Eigensinnige Berg-Landwirtschaft

Ein Wort zum Muttertag – und darüber hinaus.

Ohne Wertschätzung tut niemand etwas lange, ausser er muss. Wertschätzung kann man aber nicht erzwingen, nicht erbitten, sie ist ein Glücksmoment, der geschieht. Wenn ein Funke überspringt, wenn zwei einen Moment lang dasselbe empfinden, wenn zwei verbunden sind aus den gemeinsamen Wurzeln, aus einem gemeinsamen Verständnis oder aus einem gemeinsamen Erlebnis.

Tiere spielen eine grosse Rolle, um fühlen zu lernen, um Mensch zu werden. Tiere haben ausser ihren Bedürfnissen keine versteckten Absichten und gehen unvoreingenommen auf jeden zu. Tiere können Vermittler sein zwischen Natur und Mensch. Ein rein virtueller Mensch hingegen, ohne Bezug zur Natur oder zu Tieren, jemand der sich nur zwischen Maschinen und Menschen bewegt, verliert früher oder später den Bezug zu Geschehnissen und Prozessen, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Er entfremdet sich der Natur, er identifiziert sich nicht mehr mit ihr. Er will sie kontrollieren. Er glaubt mit Technik könne jedes Problem gelöst werden. Es sei alles kontrollierbar und – je mehr Technik umso fortschrittlicher.

In der Landwirtschaft ist diese Auflösung von Verbindungen zur Natur umso gravierender, weil die Basis für die Landwirte Prozesse und Geschehnisse in der Natur sind, die wir eben nicht immer unmittelbar beeinflussen können. Wir wissen viel zu wenig über diese Prozesse zwischen den Pflanzen oder im Boden um behaupten zu können, dass wir diese Prozesse „steuern“ könnten.  Aber die Wertschätzung für die Natur an sich ist die Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Landwirtschaft. Wertschätzung für die Natur ist auch gleichzeitig die Akzeptanz des Unkontrollierbaren.

Die männlich-politische Landwirtschaft kann mit Unkontrollierbarem hingegen nicht leben. Unter dem Deckmantel der Entwicklung fördert sie deshalb in der Gesellschaft und der Natur Prozesse, die Kontrolle, Recht und Macht auf Wenige Männer konzentrieren. Sie investiert viel in Verbindungen und Bünde um Landwirte und Zulieferer zu formen, einzubinden und zu kontrollieren. Hierarchische Strukturen machen die Entwicklung der Landwirtschaft steuerbar, Macht wird genommen, Ausbeutung von Natur und Mensch über Landwirtschaft bis hin in wenige Taschen ist Programm. Es fliesst alle Energie und aller Gewinn – von unten nach oben. Eine Konzentration von Macht zu wenigen Personen, zu den Bauernführern, zu den großen Konzernen, zu den Betriebsmittel- und Futtermittelfirmen wird als Naturgesetz dargestellt. Neoliberales Gedankengut, mit konservativen, ja nationalsozialistischen Grundregeln.

Es gibt keine Demokratie in diesen bäuerlichen Strukturen. Der Führer spricht und die Bauern sagen -nichts. Versammlungen und Gespräche gehen danach in kleinen Runden oder am Stammtisch weiter, dort liegt die Ratlosigkeit dann auf dem Tisch, zwischen den Stühlen und Bänken – aber nur zufällig und beim Nachbarn. Denn Ratlosigkeit ist kein Zustand, den die offizielle Landwirtschaft akzeptiert. Dort kann mit Technik und Marktwirtschaftlichen Lösungen alles gelöst werden. Zwischenräume werden gefüllt mit unausgegorenen Ideen die ins nächste Trauma führen. Dazwischen wird viel Geld ausgegeben von unten nach oben, die Verschuldung erhöht, die Substanz geraubt, und die Abhängigkeit zementiert. Und wer es nicht schafft ist selber schuld, hat etwas falsch gemacht, ist Freiwild für die „Erfolgreichen“, die neidischen Nachbarn.

Illusion, virtuelle Welt – weit weg von tatsächlichen Beziehungen zwischen Lebendigem. Wo sind die Zweifel an diesem System? Achtsamkeit und Wertschätzung sind etwas für Spinner und Quereinsteiger. Wo sind die freien Bauern? Wo sind die eigensinnigen Bauern, die nicht die Klappe halten, die anderer Meinung sind und mutig? Wo sind die Innovativen? Ja, Eigensinn ist die Voraussetzung für Innovation, konforme Bauern zahlen bis zum Selbstmord die überhöhten Preise für Betriebsmittel, lassen sich nicht „auseinanderdividieren“, bleiben in der Herde hinter dem Leithammel, erhalten einen Milchpreis von 30 Cent pro Liter oder weniger. Konforme Bauern zweifeln nicht, sie verzweifeln, oder lassen die Landwirtschaft einfach bleiben, verkaufen ihren Boden, gehen „arbeiten“ oder werden in eine Scheinposition befördert, die ihnen höchstens eine Scheinwertschätzung als Feigenblattbauer in einem Milchprojekt des LEH zugesteht.

Warum wollen sie nicht zielstrebig und konsequent Bauer sein, ruhig und konsequent denken und arbeiten? Wo sind die, die Ausgrenzung nicht fürchten, die Alternativen zum System denken? Wo sind die, die Vielfalt und Komplexität nicht fürchten, sondern als Grundlage von Demokratie und Wohlstand verstehen? Wo sind die, die immer selber denken?

Eure Regula


Rückblick auf die Tiroler Landwirtschaft vor 75 Jahren aus „Bergbauern im Nationalsozialismus. Die Berglandwirtschaft zwischen Agrarideologie und Kriegswirtschaft“ 1, Kapitel 7:

Gemeinschaftsaufbau im Bergland

Der Beitritt zu den Aufbaugenossenschaften war für die Eigentümer landwirtschaftlicher Betriebe grundsätzlich freiwillig. Die „Zusammenfassung aller Volksgenossen einer Aufbaugemeinde zu einer Gemeinschaft“ wurde jedoch als „unbedingt notwendig“ erachtet. Es sei dies eine „politische Aufgabe“ der NSDAP und eine „Aufgabe der Menschenführung“.714 Mit dem Begriff der Freiwilligkeit war nicht der Wunsch nach freier Willensäußerung oder die Möglichkeit, zwischen Alternativen eine Wahl zu treffen, verbunden. Es sollten vielmehr alle Betroffenen in die Genossenschaft gedrängt werden. Dabei kam das Modell „Zuckerbrot und Peitsche“ zur Anwendung: Entweder bewerteten die Betriebsinhaber die durch den Gemeinschaftsaufbau gebotenen Möglichkeiten für sich als positiv und traten deshalb aus freien Stücken bei, oder das Regime drohte mit Repressalien….

Wie diese Drohung zu verstehen war, führte Lantschner nicht näher aus, aber er dürfte damit wohl gemeint haben, dass Nichtmitglieder bei der Arrondierung benachteiligt werden könnten und sich beispielsweise mit qualitativ schlechteren oder entlegeneren Flächen zufrieden geben müssten…..

Bei Fehlen einer gesetzlichen Handhabe erklärte Lantschner die Nichtmitglieder praktisch für vogelfrei und legte ihr Geschick in die Hände der lokalen Gemeinschaft. Mit dieser Formulierung war auch eine Billigung der Anwendung von Gewalt in welcher Form auch immer gegenüber Nichtmitgliedern verbunden….

Die Definition von Freiwilligkeit geriet bei Reinthaller zur Farce.

Er spannte einen Bogen zwischen einer „Freiwilligkeit im liberalistischen Sinne“ bis hin zu einer Freiwilligkeit, „die einem freiwilligen Zwange nahekommt“. Für die Aufbaugenossenschaften sollte auf letztere Form zurückgegriffen werden….

Wer nicht mitmachen wollte, sollte von Ortsbauernführer oder Aufbauleiter „überredet“ werden. Sollte das nicht ausreichen, setzte man auf die „positive Kraft“ des „nachbarlichen Neides“….

Die Antwort Backes auf diesen Bericht Reinthallers war voller Zustimmung zu dessen Begriff der „Freiwilligkeit“. Es bestätigte, dass „dem Gedanken der Freiwilligkeit, wenn auch mit dem nötigen Überzeugungszwang, Rechnung getragen werden“719 müsse. Zu guter Letzt verschaffte der Stabsleiter im Reichsamt für das Landvolk Hartwig von Rheden, der eine Abschrift dieses Briefwechsels erhielt, diesen Begriff von Freiwilligkeit „allgemeine Geltung […] nicht nur für den Gemeinschaftsaufbau, sondern für alle landvolkpolitischen Maßnahmen“.720  Reichlich Propaganda trug schließlich dazu bei, das „richtige“ Bild von der Freiwilligkeit in der Bevölkerung zu festigen: „Es könnte nun gefragt werden, was denn geschähe, wenn ein Bauer der Genossenschaft nicht beitreten wollte. Nun, dazu kann gesagt werden, daß ein Fall von solcher Verständnislosigkeit und Selbstschädigung bisher noch nicht vorgekommen ist. Und sollte einmal tatsächlich ein Bauer sich von dem Gemeinschaftswerk ausschließen wollen, so wird die Aufklärungsarbeit der Partei und das Beispiel seiner Dorfgenossen und Nachbarn ihn sicherlich noch zur rechten Zeit umzustimmen vermögen.“


1 Gerhard Siegl, Bergbauern im Nationalsozialismus, Die Berglandwirtschaft zwischen Agrarideologie und Kriegswirtschaft, Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Band 28, © 2013 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck, Kapitel

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