Gesucht: Utopie für die Landwirtschaft

Was tut eine Landwirtin, wenn für ihr Einkommen gesorgt ist? Sie betreibt Landwirtschaft.

Von Regula Imhof / Foto © Johannes Plattner / www.johannesplattner.com

Die Corona-Krise macht wieder einmal deutlich, dass viele systemrelevante Berufe keine Familie ernähren. Erntehelfer*innen u Fleischverarbeiter*innen in der Landwirtschaft, die Angestellten im Handel, Pfleger*innen in Krankenhäusern oder daheim, im Gesundheitswesen, Beschäftigte im Lieferdienst – die Liste ließe sich fortsetzen. Auch Bäuer*innen leben laut Grünem Bericht schon seit vielen Jahren unter dem Existenzminimum – mit dem Unterschied zu anderen Berufsgruppen – dass viele von ihnen noch etwas zu verkaufen haben, zum Beispiel „Land“. Sie wirtschaften also auf die Subsistenz. Es gibt kein selbstbestimmtes Leben, wo Armut besteht oder auf die Subsistenz gewirtschaftet wird.

Perspektiven braucht die Bäuer*in

Was würde eine Bäuer*in aber tun, wenn sie unabhängig wäre? Welche Perspektive würde sie wählen? Stellen wir uns vor, sie bewirtschaftet einen Hof in einem Seitental der Tiroler Alpen auf 1.100 m Seehöhe mit ihrer Familie. Steile Flächen, der Milchpreis nicht kostendeckend, Nebenerwerb, Direktvermarktung, Arbeit von morgens 5 Uhr bis abends 22 Uhr. Nach einer Prognose der Landwirtschaftskammer werden zwischen 2015-2025 weitere 25 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich zusperren.

Welche unabhängige Frau würde bei einer solchen Zukunft auf diesem Hof bleiben? Dieselbe Aussicht wie vor 50 Jahren? Psychische und physische Überbelastung und ständige Existenzgefährdung?

Wie anders ist die Perspektive, wenn für das Grundeinkommen der Familie gesorgt ist und sie sich mit Engagement der nachhaltigen Entwicklung des Hofes widmen kann. Wenn sie neue Standbeine entwickeln und ihre Leistungen für die Gesellschaft weiter in Produktion, Landschaftspflege, Familienbetreuung, Naturschutz, Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität erbringen kann. – Alles in vernünftigem Maße? Es bräuchte kein Burnout dazu, keine Industrialisierung, kein Wachsen oder Weichen, um diese systemrelevanten Leistungen zu erbringen. Landwirtschaftliche Betriebe mit einem Grundeinkommen wären Zellen zur nachhaltigen Bewirtschaftung – auch schwieriger Flächen der alpinen Welt – ohne den Verwaltungsaufwand und die Demütigung, „Fördergeldbezieher*in“ oder „Beihilfeempfänger*in“ zu sein, Kontrollen ausgesetzt, dem ständigen Misstrauen der AMA. Keine Diskussion über 1. Säule und 2. Säule, Grüne Architektur oder Bindung von Fördergeldern an Flächen. Die Menschen würden im Zentrum von Politik stehen, sie würden leben und leben lassen.

Dashboard – Landwirtschaft auf der Intensivstation

Laut Grünem Bericht 2020 beläuft sich das Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe 2019 in Österreich auf durchschnittlich 27.966 €, wovon noch 9.359 Euro Sozialversicherung zu bezahlen waren. Zum Ertrag zu rechnen sind durchschnittlich 19.679 Euro öffentliche Gelder (16% des Ertrages). Das Einkommen der Bergbauernbetriebe in Tirol ist im Vergleich zu 2018 um 20 % gesunken und liegt deutlich niedriger als der österreichische Durchschnitt, bei durchschnittlich 16.445 €. „Bei durchschnittlich 1,51 betrieblichen Arbeitskräften zuzüglich Personalaufwand entspricht das in Tirol Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft von 11.589 Euro je betrieblicher Arbeitskraft. Die öffentlichen Gelder für die Tiroler Landwirtschaft machen im Durchschnitt der Buchführungsbetriebe 20,6 % des Ertrages aus. Bei den extremsten Bergbauernbetrieben sind es 27,7 % des Ertrages.“ Quelle Zitat

Grundeinkommen, Nachhaltigkeit und Preisumkehr

Es braucht mehr als eine neue alte GAP. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig eine lokal und regional funktionierende kleinstrukturierte Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung in Tirol ist, die zudem nicht abhängig ist von unterbezahlten Erntehelfer*innen oder Bäuer*innen, die bis zum Umfallen arbeiten und dafür weder eine ausreichende Entlohnung noch ein Danke erhalten.

Die Forderung ist deshalb: Sämtliche Gelder der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP, die in der aktuellen Diskussion von unseren „Bauernvertretern“ gerade wieder an große industrielle Landwirtschaftsbetriebe vergeben werden, umzuschichten und:

  1. Als bedingungsloses Grundeinkommen an Bäuer*innen zu vergeben. Gebunden an Menschen – für jede Personen, die in der Landwirtschaft tätig ist, unabhängig ob es sich um den Betriebsführer/die Betriebsführerin handelt, deren Partner, Kinder, Eltern oder Angestellte, die für die Aufrechterhaltung der Produktion benötigt werden.
  2. Alles was noch im Topf bleibt und an Betriebe zu vergeben ist, soll sich an Klima- und Biodiversitätszielen orientieren und für Maßnahmen verwendet werden, die Ernährungssicherheit fördern. Alle öffentlich geförderten Maßnahmen müssten sich mindestens an den Zielen des „Green Deal“ und der „Farm to Fork“ Strategie orientieren.

Und zu guter Letzt müssten die Lebensmittelpreise auf den Kopf gestellt werden, eine Umkehr der Preispolitik ist notwendig, welche externe Kosten miteinbezieht.

Auf die darauf folgende „Strukturbereinigung“ freue ich mich, denn sie ist längst fällig und bringt eine nachhaltige Landwirtschaft für die gesamte Bevölkerung.

Regula Imhof, Bio-Obstbäuerin aus Tirol


Der Text erscheint auch in der ÖBV-Zeitung, Ausgabe 365 „Wege für eine Bäuerliche Zukunft“ im Dezember 2020.

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